„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ 1.Mose 16,13
Die oben aufgeführte Bibelstelle ist die neue Jahreslosung für 2023.
Sie entstammt der Erzählung um Hagar und Sara(i) mit ihrem Mann Abraham, nachzulesen in 1.Mose 16,1–16. Schauen wir uns zunächst einmal den Hintergrund des Verses an.
Sara, als Frau von Abraham, ist kinderlos. Die Frau im Alten Orient findet Ihre Identität und Würde darin, dass sie Kinder gebärt. Eine kinderlose Ehe galt daher als sehr unglücklich, außerdem kann sich so die Verheißung an Abraham mit zahlreicher Nachkommenschaft nicht erfüllen. Sara greift daher zu einer Notlösung, sie schickt ihre Magd Hagar zu Abraham, damit diese mit ihm ein Kind zeugt und es für sie austrägt. Der Plan gelingt, allerdings sieht Hagar nun auf Sara herab, weshalb diese wiederum mit Demütigungen gegenüber Hagar reagiert. Hagar hält dem Ganzen nicht mehr stand und flieht in die Wüste.
Die Flucht in die Wüste war nicht einfach ein kurzer Spaziergang – nein, er bedeutete Lebensgefahr. Hagar setzt damit ihr Leben und das Leben des Ungeborenen aufs Spiel.
Was geschieht dann? Ein Bote Gottes begegnet ihr an einer Quelle und spricht sie an. Er fordert sie auf, wieder zurück zu Sara zu gehen und gleichzeitig verheißt er ihr zahlreiche Nachkommen.
Daraufhin benennt Hagar Gott, der ihr begegnet: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Was für ein Wendepunkt! Mitten in der Hoffnungslosigkeit, in ihrer Verzweiflung zeigt sich Gott Hagar und schenkt ihr eine neue Perspektive. Hagar als Sklavin ist Nicht-Beachtung bzw. Missachtung gewohnt, umso mehr erstaunt es sie, dass Gott sich ihr zuwendet und dann noch mit einem Versprechen: Ihr Sohn wird Teil der Abraham-Verheißung werden (nachzulesen in 1.Mose 16,10f.). Nach der Begegnung mit dem Boten Gottes kehrt Hagar zu Sara zurück. Doch nicht aus Verzweiflung, sondern aus einer neu erhaltenen Zuversicht: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Die Tatsache, dass Gott ihr Leiden erkennt und anerkennt, scheint für Hagar alles zu verändern. Sie fühlt sich gesehen und das ermöglicht ihr einen anderen Umgang mit der Situation. Hagar hat mit Gott jemanden gefunden, der sie wahrnimmt mit all ihrem Schmerz und ihrem Leid. Das tut gut und stärkt sie mit neuer Kraft und neuem Mut.
Den Wunsch gesehen zu werden, kennen wir alle. Gesehen zu werden gibt Menschen Selbstbewusstsein: Ich werde wahrgenommen – ich bin wichtig.
Kennen wir auch das Gefühl, nicht gesehen zu werden oder wenig beachtet zu sein? Fühlt es sich manchmal an, als ob keine/r die Situation so wirklich verstehen könne?
Die Geschichte von Hagar kann uns Mut machen. Gott sieht und hört jede/n Einzelne/n.
Es ist auch nicht zufällig, dass Gott Hagar an einer Quelle begegnet. Genauso kann Gott auch unsere Quelle im Alltag sein und uns wieder „erfrischen“/neue Kraft geben, besonders in sogenannten „Wüsten-Situationen“: Gerade dann, wenn wir hoffnungslos, mutlos oder frustriert sind, wenn wir uns ungesehen oder missachtet fühlen, möchte Gott uns begegnen und uns wieder aufrichten. Ich wünsche uns, dass uns diese Bibelstelle ganz besonders im Jahr 2023 begleitet und uns immer wieder neu daran erinnert, dass Gott derjenige ist, der uns alle sieht und dem jede/r Einzelne/r wichtig ist.
Annelie Hirzel (anneliehirzel@aol.com)