„Säet Gerechtigkeit und erntet nach dem Maß der Liebe. Pflüget ein Neues solange es Zeit ist den Herrn zu suchen, bis er kommt und Gerechtigkeit über euch regnen lässt.“ Hosea 10,13
Das ist mal wieder so ein Text, den ich auch nach dreimal lesen noch nicht verstehe. Und dann noch Altes Testament. Doch mittlerweile finde ich gerade dazu eher einen Zugang. Vielleicht, weil alttestamentliche Texte die Menschen und ihr Tun so ehrlich beschreiben. Da ist von Missgunst, Neid, Verfehlungen, Lüge, Trieben, Familiengeschichten und Götzendienst die Rede.
Dies kommt meinem Leben oft näher als die Worte Jesu. Deshalb will ich mich auch diesem sperrigen Text stellen. Was heißt denn Gerechtigkeit säen? Ich verstehe darunter, nicht meine Mitmenschen zu beurteilen, ob ihr Tun gerecht ist. Für mich heißt Gerechtigkeit, dass ich meinem Mitmenschen das gebe, was er braucht. Der eine braucht praktische Hilfe, der andere ein gutes Wort, oder einfach nur eine Umarmung oder mein Mitgefühl. Wenn ich das bei jedem richtig mache, werde ich ihm gerecht. Dazu ist es wichtig, weg von meinen Gedanken, meinem Empfinden, meinem Strickmuster zu gehen und zu schauen, wie tickt mein Gegenüber; ihn wahrzunehmen. Ich erlebe das positiv bei Menschen, die mir bei der Frage: „Wie geht es dir?“, nicht nach dem 2. Satz von ihren eigenen Erlebnissen, Empfindungen oder Problemen erzählen, sondern wirklich zuhören können und sich auf mich einlassen. In diesem Sinn heißt Gerechtigkeit für mich, wegzuschauen von mir, von meinem Ego, meinen Bedürfnissen und hinzuschauen und zu hören auf mein Gegenüber, ihn wahrzunehmen, zu hören, was er braucht und ihm damit gerecht zu werden. Der Prophet Hosea schreibt: Wenn ihr Gerechtigkeit gesät habt, dann erntet nach dem Maß der Liebe.
Ich ertappe mich bei einem anderen Ernteverhalten. Ich ernte gerne dort, wo es viel zu holen gibt, wo für mich am meisten herausspringt. Ich umgebe mich gern mit den Menschen, die mir nützlich sind, von denen ich profitiere, mit denen ich gerne zusammen bin. Mit wem sitze ich beim Jahresfest zusammen? Auf wen gehe ich nach der Kirche zu? Für wen nehme ich mir auf der Straße beim „Grüß Gott“ Zeit? In der Guten Nachricht wird dieser Vers folgendermaßen übertragen.
„Säet gute Taten aus, dann werdet ihr die Früchte eurer Treue ernten“.
Soll heißen: Dort wo ich Menschen selbstlos begegne, ohne eigenen Nutzen, werde ich auch Liebe ernten. Dies entspricht zwar nicht so ganz meinem Leben, aber – wenn ich mir es genau überlege, kann ich dem Gedanken etwas abgewinnen.
In der Kindererziehung habe ich dieses Prinzip schon erlebt. Ich kümmere mich um mein Kind, doch nicht deshalb, dass es mir zuerst gut geht, sondern damit es ihm gut geht und es sich entfalten kann.Ist dies womöglich die Botschaft, die uns dieser Monatsspruch sagen will? Wegzusehen von meiner Egozentrik (Was bringt es mir?, Was würde mir in dieser Situation helfen?, Wie würde ich handeln?) und mein Gegenüber zu betrachten unter dem Aspekt: Was hilft ihm? Wie werde ich ihm gerecht? Ein Versuch ist es wert. Probiert es doch einfach aus. Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen, die wir am Jahresfest austauschen können.
Bernd Hirzel