Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet. (Matth. 5, 44-45)
Kürzlich durfte ich die Predigt von einem unserer Möhringer Prädikanten zum Thema „Gottes Liebe“ (1. Joh. 4) hören. Besonders beschäftigt hat mich da die Aussage, dass nur wer seine Feinde liebt, auch Gottes Liebe erfahren kann. Feststellung des Prädikanten dazu: „Das schafft keiner“ – und da hat er Recht.
Hier im Monatsspruch für Juli nach Matthäus nun also wieder: „Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.“ Wenn wir Kinder unseres Vaters im Himmel werden wollen, dann sind die Voraussetzungen ziemlich hoch.
Erzählen wir das doch einmal den Menschen in der Ukraine – liebt die, die euch diesen grausamen Krieg aufzwingen, die eure Häuser und Familien zerstören. Oder was sagen wir den Frauen, die von ihren Männern täglich drangsaliert werden? Er liebt Dich trotzdem?
Es gibt wenig Gebote, die mir so schwer erfüllbar vorkommen – und zwar nicht nur in der großen Politik, sondern auch in meiner kleinen Welt. Beispiele hätte ich zuhauf, wo ich mich völlig selbstverständlich von jemandem abgewendet habe, der mir blöd kam, unfair zu mir war oder mich einfach aufgeregt hat. Man muss sich ja nicht mit jedem verstehen, oder? Einmal vielleicht noch ordentlich die Meinung sagen und dann am besten den Kontakt vermeiden. Dann gibt es zukünftig wahrscheinlich keinen Streit mehr – reicht doch auch.
Reicht eben nicht. Jesus will nicht, dass wir dem Mitmenschen aus dem Weg gehen, mit dem wir im Streit sind, der uns bedroht oder nervt. Er will, dass wir uns ihm aktiv zuwenden, so wie wir das auch mit den Menschen machen, die wir lieben.
Vielleicht dürfen wir den Monatsspruch auch weniger als eine Zugangsvoraussetzung für das Himmelreich, sondern eher als einen Mutmacher verstehen:
Ihr seid die unendlich geliebten Kinder des Vaters im Himmel: Wer, wenn nicht ihr, könnte das Unmögliche schaffen und sich den Menschen zuwenden, die euch hassen, bekriegen, beschimpfen. Wer, wenn nicht ihr, könnte Frieden in diese Welt bringen? Traut euch einfach und versucht es bitte immer wieder.
Eine Freundschaft aufzubauen und zu pflegen kann sehr lange dauern, manchmal ein ganzes Leben. Sich einen Menschen zum Feind machen, geht in kürzester Zeit. Ein unbedachtes Wort kann genügen. Und dann? Wie kann man das wieder ändern?
Ich denke, es geht um Wertschätzung für den Menschen, unabhängig von der Sache, dem Streit, der Verletzung. Als Vorbilder könnten Gandhi oder die „gewaltfreie Kommunikation“ nach Rosenberg dienen. Das Bewusstsein, dass ein Streit beendet und aus einem Feind ein Freund werden kann, darf Mut machen, es immer wieder zu versuchen. Es wird uns nicht immer gelingen, aber wenn es gelingt, fühlt es sich total gut an. Soweit die Theorie.
Nun zur Praxis: Bei einer Mitarbeiterweihnachtsfeier vor einigen Jahren hatte ich in einer Andacht die folgende Frage gestellt: „Mit wem wollt ihr vor Weihnachten noch Frieden schließen oder Streit begraben?“ Damit hatte ich mich selbst ziemlich in Zugzwang gebracht. Irgendwie musste ich mich der Frage auch stellen, was recht ungemütlich war. Da ich mich in den Wochen vorher mächtig über jemanden geärgert hatte, war die Zielperson schnell identifiziert. Als Weihnachten wirklich kurz vor der Tür stand, habe ich mich dann getraut und bin in einer Art Selbstversuch auf diesen von mir „wenig geliebten“ Mitmenschen zugegangen. Einen Freund habe ich damit nicht gewonnen, aber das Miteinander hat sich anschließend deutlich verbessert.
Also, es ist zwar noch lange hin bis Weihnachten, aber die Sommerferien stehen ja vor der Tür: Mit wem wollen Sie, wollt ihr, will ich bis dahin noch Frieden schließen oder Streit begraben? Ich wünsche eine gesegnete Sommerzeit.
Marc Schrade (ms.schrade@t-online.de)