Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers. Er macht den Großen Wagen am Himmel und den Orion und das Siebengestirn und die Sterne des Südens. (Hiob 9,8-9)
Es ist eine kalte, glasklare Nacht. Ein Mann steht in einer Wüste des Vorderen Orients und blickt in den Himmel. Hiob heißt er. Wie ein aufgespanntes Zelt umgibt ihn der Nachthimmel. Unzählige Sterne leuchten ihm entgegen, und er sieht Sternbilder, die er schon seit Kindertagen kennt. Langsam ziehen sie mit verlässlicher Treue ihre Bahn. Jeden Tag, jedes Jahr. Wie oft schon hat er diese Pracht bestaunt. Bis vor kurzem war der Sternenhimmel für ihn eine Bestätigung der Macht und Überlegenheit Gottes. Diesem Gott war er treu. Und er hatte ihn wiederum mit Glück und Reichtum beschenkt. Aber jetzt, da ihm alles genommen wurde? Besitz, Kinder, Gesundheit. Jetzt leuchten die Sterne immer noch und ziehen gleichmäßig ihre Bahn. Der Himmel aber ist ihm unheimlich geworden. Der Gott, der die Sterne geschaffen und sie auf ihre Bahn geschickt hat, ist ihm fremd.
Gut 2000 Jahre später schaue ich in einer kalten Herbstnacht in denselben Himmel. Ich sehe nicht ganz so viele Sterne, weil die Lichtverschmutzung am Berliner Stadtrand so stark ist. Aber den Großen Wagen finde ich sofort. Und Orion auch. Beim Siebengestirn bin ich mir schon nicht mehr so sicher. Ich bin fasziniert und könnte stundenlang nach oben blicken. Ich sehe dieselben Sternenbilder wie Hiob. Vor ihm und nach ihm haben sie unzählige Menschen bestaunt. Was hat sich unter ihnen schon alles abgespielt auf dieser Welt? Geschichten des Glücks und der Hoffnung, Schicksale des Elends und der Not. Frieden und Krieg. Und immer ziehen die Sterne ihre Bahn als würde sie das alles nichts angehen.
Für manche Menschen ist eine solche Naturerfahrung wie ein Gottesdienst. Ich kann das gut nachvollziehen, denn die Faszination für den „bestirnten Himmel über mir“ (I. Kant) teile ich. Für mich ist der Sternenhimmel Ausdruck der unendlichen Schöpfermacht Gottes. Ja, die Natur ist ein Buch, in dem wir Gott finden können. Aber was sie uns zeigt, bleibt uneindeutig. Denn der Himmel kann Menschen auch unheimlich werden. Auch das kann ich nachvollziehen. Dass die Natur eine gute Schöpfung Gottes ist, ein Zeichen seiner Treue und Verlässlichkeit, das versteht sich nicht von selbst. Gewiss wird es mir erst, wenn ich in ein anderes Buch schaue – die Bibel. Dort lese ich die unmissverständliche und eindeutige Zusage, dass Gott unwandelbar treu ist; dass er den unendlichen Himmel verlassen hat, um in seinem Sohn Jesus Christus für immer treu an unserer Seite zu sein. Und wenn mir das im Gottesdienst zugesprochen wird und mir Brot und Kelch gereicht werden, dann sehe und schmecke ich die Freundlichkeit Gottes. Mit dieser Erfahrung im Rücken freue ich mich darauf, Gottes Größe und Macht in der nächsten klaren Nacht am Sternenhimmel zu bestaunen.
Prof. Dr. Oliver Pilnei (Theologische Hochschule Elstal)